Von 2004 bis 2008 war Shai Hoffmann, 41, regelmäßig in Vorabendserien zu sehen – mal als Edelkomparse, mal als Neben- und sogar Hauptdarsteller. Nach seiner Nierentransplantation konnte er noch im Krankenhaus eine große Rolle ergattern. Dann der gesundheitliche Rückschlag – und letztendlich die Kündigung "unter für mich dubiosem Vorwand". Hoffmann kehrte der Schauspielerei für immer den Rücken.
Im Zuge des großen Machtspecials auf BRIGITTE.de hat der heutige Aktivist, Publizist, Autor und Sozialunternehmer auf diese schwere Zeit seines Lebens zurückgeblickt, und erklärt, wie er mit therapeutischer und privater Hilfe wieder auf die Beine kam.
Shai Hoffmann hat sich „damals in einem Abhängigkeitsverhältnis befunden“
BRIGITTE: Welche generellen toxischen Machtstrukturen konnten Sie in Ihrem damaligen Arbeitsumfeld als Schauspieler beobachten?
Shai Hoffmann: Damals haben Hierarchien im Gefüge von Kapitalismus und Neoliberalismus sehr stark dazu geführt, dass mit der Angst der Mitarbeitenden gespielt werden konnte. Das bedeutet:
Weil es den Mechanismus gibt: "Ich muss etwas sagen, ansonsten bin ich derjenige, der abgeschossen wird, wenn ich mich dagegenstelle".
Wie hat sich machtausübendes Verhalten auf Sie ausgewirkt?
Menschen werden in dem Business auf eine vermarktende Sache reduziert. Ich hatte während meiner Zeit bei einer Vorabendserie irgendwann das Gefühl, dass es mehr um mein Äußeres geht als um meine schauspielerische Leistung und dass ich Menschen gefallen muss. Wie mir später aufgefallen ist, ähnelte das den patriarchalen Strukturen in unserer Gesellschaft, in der größtenteils Frauen Männern gefallen müssen, die mit ihrem Aussehen und Benehmen alles dafür tun, dass das auch erfüllt wird.
Ich habe mich damals in einem Abhängigkeitsverhältnis befunden und musste um die Aufmerksamkeit und Gunst von Regisseur:innen und Drehbuchautor:innen kämpfen, die ihre Macht auf gewisse Charaktere ausgeübt haben, denen sie mehr oder weniger Raum in der Serie einräumten. Ich habe gute Miene zum bösen Spiel gemacht, auch wenn es mir nicht gut ging. Ich musste als Zahnrad funktionieren, durfte keine Schwäche zeigen.
Nach Nierentransplantation vor der Kamera – und Kündigung
Das spiegelte sich auch während Ihrer Zeit bei einer Vorabendserie wider. Ihre Rolle wurde gestrichen, bevor sie richtig angefangen hatte. Sie mussten gehen. Was war passiert?
Ich hatte in meinen 20ern eine Nierentransplantation. Im Zuge dessen musste ich starke Medikamente wie Cortison nehmen, mein Körper veränderte sich. Ich konnte monatelang nicht als Schauspieler arbeiten, hatte aber dann das Glück, dass der Produzent einer Vorabendserie ehrenwerterweise meinen Typ gut fand. Noch während ich im Krankenhaus lag, unterschrieb ich den Vertrag. Ein halbes Jahr später stand ich vor der Kamera.
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Wie fühlte sich das an, nach der Transplantation wieder am Set einer Serie zu stehen?
Es machten sich weitere Symptome der Medikamente deutlich, die erst nach monatelanger Einnahme auftraten. Ich bekam Akne im Gesicht. Zudem hatte ich aufgrund der Wassereinlagerungen zugenommen. Ich fühlte mich nicht mehr attraktiv, nicht mehr wohl in meiner Haut.
Todesangst und Ultimatum am Krankenhausbett
Dann mussten Sie mit einem weiteren gesundheitlichen Rückschlag kämpfen.
Ich bekam aufgrund meines schwachen Immunsystems einen Herpes an der Leber und musste ins Krankenhaus. Ich hatte Todesangst, die Ärzte wussten erst nicht, was ich hatte. Sie gingen von einer schlimmen Krankheit aus. Ich hatte während der Zeit den Eindruck, die Produktion interessierte sich mehr dafür, wann meine Rolle wieder zurückkommt, weil die Begründung für das Fehlen ebendieser irgendwann unglaubwürdig für den Zuschauer wurde.
Das führte dazu, dass die Redaktion dem Produzenten, der mich geholt hatte, anwies, meiner Agentur und mir die Pistole auf die Brust zu setzen und zu sagen: "Wenn Shai innerhalb von einer Woche nicht im Studio erscheint, müssen wir ihn leider austauschen." Das musste mir meine Agentin am Krankenbett offenbaren.
Standen Sie trotz schwerer Gesundheitsprobleme und großer Angst wieder vor der Kamera?
Ich hatte viele Schulden, weil ich wegen meiner Nierenerkrankung lange nicht arbeiten konnte. In Absprache mit den Ärzten bin ich der Aufforderung deshalb nachgekommen und stand wieder im Studio. Das Traurige war: Zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, dass ich entlassen werde, sie mich aber trotzdem noch zwei Wochen dabehalten haben. Am Ende wurde ich von dem Produzenten ins Büro gerufen, der mir dann schweren Herzens mitteilte, dass die Redaktion entschieden hat, dass ich gehen müsse. Angeblich sei mein Charakter in den Umfragen nicht gut angekommen.
„An erster Stelle stand nicht der Mensch, sondern der Profit“
Wieso stellten Sie das Kündigungsargument infrage?
Meine Rolle war zu dem Zeitpunkt kaum zu sehen gewesen, sie wurde mit einer größeren Gruppe gerade erst eingeführt. Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich habe mein Engagement beendet, bin zurück von Köln nach Berlin gezogen und habe der Schauspielerei den Rücken gekehrt. Erst später habe ich realisiert, dass dort struktureller Machtmissbrauch stattgefunden hat. Die Macht wurde aus meiner Sicht so eingesetzt, dass an erster Stelle nicht der Mensch steht, sondern der Profit.
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Heute bin ich Aktivist, Publizist, Autor und Sozialunternehmer – um genau auf die Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Was für ein filmreifer Plot-Twist eigentlich.
Welche Auswirkungen hatte der Jobverlust, der ihre Schauspielkarriere beendete, auf Ihre Psyche?
Dafür muss ich etwas ausholen: Ich bin bereits als Kind nierenkrank gewesen. Noch vor der Transplantation hatte ich eine Operation, die eine Angststörung in mir auslöste. Die war teilweise so schlimm, dass sie sich auf alles in meinem Leben auswirkte. Ich habe mir dann Hilfe bei einer Psychotherapeutin geholt. Bevor ich also angefangen habe zu schauspielern, konnte ich in jahrelanger Therapie herausfinden, woher meine Angst kommt, sie von allen Seiten beleuchten und Traumata aufarbeiten.
Durch die Therapieerfahrung konnten Sie also gefasster auf die Situation reagieren.
Als ich unter für mich so empfundenen dubiosem Vorwand bei der Vorabendserie gekündigt wurde, hatte ich gelernt, wie ich mit meinen Gefühlen in diesem Moment besser umgehe. Dennoch hat der Rauswurf viel mit mir gemacht. Neben der Existenzangst war das Schlimmste für mich, dass andere über mein Aussehen urteilten. Und dass der Rauswurf meine Zweifel an meinem Aussehen bestätigte.
„Ich habe bis heute Probleme mit meinem Körperbild“
Hat das Ende bei der Vorabendserie die Probleme mit Ihrem Aussehen verstärkt?
Ich habe bis heute Probleme mit meinem Körperbild. Ich fühle mich unwohl, oberkörperfrei herumzulaufen – wegen den Narben an meinem Bauch. Die Medikamente und das Cortison haben Spuren hinterlassen. Auf Social Media werde ich zugeballert mit erfolgreichen gesunden Typen, die alles unter einen Hut bekommen und dennoch schaffen, Sport zu machen. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass mich das nicht tangiert.
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Diese Idealbilder, wie man aussehen muss, sich kleidet und verhält, sind dermaßen tief in uns verankert und wurden uns bereits in Kinderserien, -filmen und -büchern vermittelt. Auch das liegt in den Tiefen unseres patriarchal geprägten Turbo-Kapitalismus und der Erzählung einer vermeintlichen Leistungsgesellschaft begründet, die wir aufgrund des globalen Marktwettbewerbs zu haben glauben.
Was würden Sie anderen Betroffenen mit an die Hand geben? Welchen Rat haben Sie?
Es gibt keine allgemeingültige Formel. Was aber wichtig ist: Nicht alleine zu sein mit dem Schmerz und sich informieren.
Mir hat ein unterstützendes System aus Freunden, meiner damaligen Partnerin, meinen Eltern und ein Plan B neben der Schauspielerei geholfen.
Zudem können professionelle Anlaufstellen wie eine Therapie unterstützen. Leider gibt es zu wenige freie Plätze, was sich unbedingt ändern muss, weil oft Menschen, auch in dieser Branche, mental belastet sind. Das Allerwichtigste ist jedoch die Erkenntnis, dass du genauso, wie du bist, gut bist und dir von niemandem etwas anderes einreden lassen solltest.
Das Interview ist zuerst im Machtspecial auf BRIGITTE.de erschienen.
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